Vom klassischen Gesellschaftsspiel zum Digitalspiel
Vom klassischen Gesellschaftsspiel zum Digitalspiel
von Robert Stoop (WS 2007)
In diesem Beitrag kommt eine Vielfalt von englischen Ausdrücken vor, da sich diese Sprache in der internationalen Digitalwelt als Standardsprache etabliert hat und deshalb keine äquivalenten deutschen Ausdrücke zur Verfügung stehen.
Einleitung
Mit dem breiten Aufkommen des „Smartphones“ und „Tablets“ steigt das Potenzial für kurzweiligen Zeitvertreib und Unterhaltung. Täglich kommen hunderte von neuen Spielen auf den digitalen Markt. Dort haben bereits auch viele klassische Spiele ihre Umsetzung gefunden (Carcass onne, Siedler, Monopoly, Yahtzee, Uno und viele mehr). Diese wurden aber meistens nicht vom Originalherausgeber publiziert, sondern via Lizenzen, da sich die Gesellschaftsspiel-Branche weiterhin auf ihren Heimmarkt konzentriert und den kreuzmedialen Einfluss als gering einschätzt. Eine große Anzahl von Clones (Spiele, welche sich mechanisch nur minimal voneinander unterscheiden) sind ebenfalls zu finden, was zur Unterscheidung in „Original“ bzw. „Genuine“ führt.
Diese Clones führen mit der Zeit zur Bildung einer eigenen Spielkategorie oder einem eigenen Subgenre (z. B. „Tower Defense“).
Ausgangslage
Als Spielautor mit Ambitionen im digitalen Bereich wird man mit folgender Problematik konfrontiert: Wie kann ich mein Spiel digital umsetzen? Was ist dabei relevant? Wie soll ich mein Spiel als Digitalprototyp festhalten? Um ein Spiel digital umzusetzen, braucht es zuerst die Entscheidung, ob man dies in Eigenregie machen will oder man einen Verlag (auch Publisher genannt) dafür begeistern kann. Vorab eine wichtige Bemerkung: bei dieser digitalen Umsetzung sind die entstehenden Kosten reine Personalkosten, am Ende hält man auch nichts Materielles und Dauerhaftes in Händen, denn die digitale Plattform ist in ständigem Wandel.
In Eigenregie
Der totale Alleingang ist quasi unmöglich, es sei denn, das Spiel wäre sehr einfach und man würde den Programmierer, den Grafiker, den Animator und den Musiker in einer Person selbst verkörpern. Diese vier Bereiche sind nämlich abzudecken. Als Autor ist man mit der Fragestellung der Realisation konfrontiert, insbesondere von Elementen, welche nicht im klassischen Spiel vorkommen wie Ton, Animation und Bewegungsdynamik, welche jedoch zu einem wesentlichen Teil zur digitalen Umsetzung beitragen. Es empfiehlt sich darum, ein Team zusammenzustellen oder sich die einzelnen Kompetenzen in dem fehlenden Bereich einzukaufen, was mit substanziellen Kosten verbunden ist. Wenn man als „Mechanismus-Autor“ den ganzen Rest einkaufen will, stehen Kosten im Bereich 10.000-20.000 € an, je nach Spielkomplexität. Ein Programmierer braucht circa
70€/Stunde, ebenso ein „Game Design Document-GDD“ (siehe unten). Grafiker berechnen Tarife je nach Bildgröße und Anzahl. Diese Entwicklungen sind jedoch dann noch nicht animiert. Eventuell kann der Grafiker sich als 2D Animator einbringen, sobald jedoch 3D im Spiel ist, muss üblicherweise eine zusätzliche Person hinzugezogen werden. Für die Musik können Lizenzrechte bezahlt werden, um bestehende Stücke zu nutzen, oder man kann etwas Eigenes in einem „Sound-Studios“ komponieren lassen – zum Minuten-Tarif.
Am Sinnvollsten scheint ein Beteiligungsmodell, bei welchem jeder seine Fähigkeiten einbringt, der Autor als Initiator das Projekt leitet und koordiniert und der eventuelle Gewinn nach Aufwand dem Team zurückvergütet wird. In der heutzutage erdrückenden Flut und Vielzahl von Applikationen im digitalen Handel empfiehlt es sich außerdem, eine Werbe- und Vermarktungsstrategie zu haben (Website, Newsletter, Blogs, Sozialenetzwerke, usw.), um das Spiel der potenziellen Kundschaft bekannt zu machen.
Die Verlagslösung: Man unterscheidet zwischen Großverlagen wie z. B. Electronic Arts, Ubisoft oder Konami und kleineren Entwicklerstudios, die zur „Indie-Szene“ gehören (als Kürzel von „Independent“).
Vorab kann man sagen, dass es sehr unwahrscheinlich sein wird, einen großen Verlag begeistern zu können, denn diese setzen eher auf eigene Entwicklungen mit langjährigen Strategien oder auf Umsetzungen von Großlizenz-Projekten wie Hollywood-Film-Adaptionen oder Digitalisierung bekannter Marken. Digital Studios sind vielleicht für eine Spielidee zu begeistern, aber sicher auch für eine Auftragsarbeit zu haben. Die dabei entstehenden Kosten liegen in derselben Höhe wie beim Alleingang, jedoch entfällt die ganze Koordinationsarbeit, da alles aus einer Hand kommt.
Für die Zusammenarbeit mit einem digitalen Studio ist die geografische Nähe zwar kein Muss, aber von Vorteil, da der Austausch intensiv sein wird und die Technologie-Plattform beim Autor nicht unbedingt vorhanden ist.
Ein digitaler Prototyp
Wenn der klassische Prototyp steht oder das klassische Gesellschaftsspiel schon auf dem Markt ist, fehlt noch einiges zur Digitalisierung: Musik und Animation wie bereits erwähnt, aber auch grundsätzliche Fragen wie „Einzelspieler oder mehrere Spieler?“ stellen sich. Die Kategorie Einzelspieler benötigt „Künstliche Intelligenz“ (KI), sie ist aufwändig, teuer und je nach Spiel qualitativ sehr unterschiedlich. Die KI funktioniert besonders gut bei Spielen mit vollständiger Information, wo die Rechenkraft der Computer die Kombination von weiteren Zügen im Voraus errechnen kann.
Für die „Pocket-Gamer“ ist die Kategorie Einzelspieler ein sehr wichtiger Punkt. Gehen wir jedoch davon aus, dass wir keine KI brauchen und ein Mehrpersonen-Spiel wollen: hier stellt sich dann die Frage, ob die Spieler am selben Gerät gleichzeitig spielen oder der Reihe nach (hot seat) oder ob sie miteinander online spielen sollen. Spiele mit vielen und einflussreichen Interaktionen zwischen Spielern sind von großem Aufwand für die Programmierung. Der Programmierer braucht ein „Game Design
Dokument“, welches ihm die Variabilität und die zu programmierenden Regeln beschreibt. Es sollte als Basis dienen, um Unklarheiten oder Lücken im Spielkonzept zu beseitigen und die mühsame und aufwändige Rückkorrektur von bereits implementierten Programmen zu minimieren.
Ein solches Dokument ist relativ aufwändig und braucht andere Perspektiven auf das Spiel als diejenige des Autors.
Einige Beispiele und Templates findet man unter:
• http://sopra.le-gousteau.de/images/c/c5/Gdd_wt.pdf (2011)
• http://www.runawaystudios.com/articles/ctaylordesigntemplate.doc (2011)
Es empfiehlt sich darum, einen spielbaren digitalen Prototyp zu erstellen, welcher die Hauptzüge demonstriert. Dafür eignet sich eine einfach zugängliche Game-Design-Software wie z. B. Flixel (http://flixel.org/) oder Scratch (http://scratch.mit.edu/).
Als Grafik werden übliche Formate benötigt: .png in 70 bis 300 (max) und dpi Auflösung. Zum Schluss ist zu bemerken, dass die digitale Spielwelt sehr „Hit“-getrieben ist mit „Charts“ und „most-wanted“. Der mechanistische Inhalt ist viel simpler als bei den klassischen Gesellschaftspielen.
Zum fertigen Produkt hat der Spielautor lediglich den Mechanismus und das Game Design beigetragen, was einen kleinen Bruchteil ausmacht. Dies führt zu einer ganz anderen Wahrnehmung der Spielidee, des Eigentums dieser Idee, und somit ist ein Gedanke wie „Komm, lass uns ein Siedler-Spiel digitalisieren“ nicht als unethisch zu verstehen, sondern stammt aus einer ganz anderen Spielkultur.
Am Workshop waren beteiligt: Claudine Greese, Frank Eisele, René Lamotte, Cyrus Mobasheri, Nils Küter, Ralf Kuhn, Martin Pflieger, Jürg von Rüden, Alexander Zacherl, Ulrich Blum.
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